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Der Streit und die Streuobstwiese



Wie bei einem Tennisturnier standen Frieda Fuchs, Henriette Hase und Igor Igel an der Seite und verfolgten, wie Nils Nachtpfauenauge und Ferdinand Fischadler sich stritten. “Fischfresser!” rief Nils. „Du Nektarsauger!“ entgegnete Ferdinand. „Du…du…du…! Du Zweibeiner, du!“ schimpfte Nils wiederum. „Dünnbein!“ antwortete Ferdinand. „Krummschnabel!“ schrie Nils fast. „Flachflieger!“ „Du Federbettenfüllung!“ „Rüsselschwenker!“ gab Ferdinand zurück, aber jetzt konnte er sich ein Grinsen nicht mehr verkneifen. „Federbettenfüllung“ war zugegebenermaßen ein ziemlich lustiges Schimpfwort, das Nils für ihn erfunden hatte. Seine Antwort „Rüsselschwenker“ kam deshalb nicht mehr so wirklich überzeugend wütend rüber. „Wappentier!“ stieß Nils noch mühsam hervor, dann brachen sie allesamt in Gelächter aus. Die größte Wut bei den beiden Streithähnen schien verraucht.


In diesem Moment, als seine fünf Freunde sich vor Lachen bogen und die Bäuche hielten, kam Lasse Laubfrosch dazu. „Was ist denn?“ fragte Lasse neugierig. „Nils und Ferdinand haben sich gestritten“, sagte Henriette immer noch kichernd. „Das ist aber doch gar nicht lustig“, sagte Lasse verwirrt. „Wir mussten trotzdem lachen, weil sich Nils und Ferdinand so komische Schimpfworte ausgedacht haben“, berichtete Igor. „Und wieso habt ihr euch überhaupt gestritten?“ fragte Lasse die beiden. „Ferdinand hat angefangen!“ rief Nils da, schon wieder etwas hitzköpfig. „Nur weil du immer so angeben musst!“ gab Ferdinand zurück. „Langsam, langsam“, beschwichtigte Lasse: „Jetzt erzählt erstmal einer nach dem anderen und zwar ganz in Ruhe.“ Da kam heraus, dass Nils sehr viel darüber geredet hatte, dass er als Kleines Nachtpfauenauge nun zum Schmetterling des Jahres 2012 ernannt worden war.


Davon war Ferdinand irgendwann so genervt gewesen, dass er zu Nils gesagt hatte, er wäre total eingebildet. Eigentlich war Ferdinand aber ein bisschen neidisch auf Nils. Das merkten sie alle, aber keiner hielt es für notwendig darauf hinzuweisen. Man ist halt manchmal neidisch und kann es dann gar nicht ändern. Obwohl das auch Nils klar gewesen war, hatte er nicht aufgehört, Ferdinand vorzuschwärmen, wie toll so ein Titel doch wäre, weil Nils wegen der Sache eben total aus dem Häuschen gewesen war.

„Ach, so war das also“, sagte Lasse: „Aber darüber zu streiten, lohnt wirklich nicht. Ihr seid doch sonst die besten Freunde! Wegen dem Titel „Schmetterling des Jahres“ muss man weder neidisch sein, noch braucht man darum einen großen Firlefanz machen. Meine Verwandte, die Erdkröte, die wir neulich im Wald getroffen haben, ist gerade Lurch des Jahres geworden. Hat sie mir neulich erzählt. Dieser Titel wird aber nur alle zwei Jahre verliehen. In den Jahren dazwischen gibt es nämlich immer ein Reptil des Jahres. Und der Igel war auch schon mal Tier des Jahres. Das war 2009.“ An dieser Stelle guckte Igor verwundert auf. Das hatte er selbst noch gar nicht gewusst. Lasse deutete auf Henriette und fuhr fort: „Und der Feldhase war auch schon einmal Tier des Jahres. Eigentlich sogar zweimal. Einmal 2001 in Deutschland und 2004 in der Schweiz auch. Man muss eigentlich froh sein, wenn man nicht ein Irgendwas des Jahres wird, weil das meistens bedeutet, dass diese Art irgendwie gefährdet ist.“




„Aber woher weißt du denn das alles?“ fragte Frieda erstaunt. Lasse antwortete: „Ich weiß das, weil der Laubfrosch Lurch des Jahres 2008 war. Seitdem achte ich immer darauf, wer Vogel des Jahres ist oder Moos des Jahres oder Baum des Jahres. Es gibt sogar immer einen Bodentyp des Jahres! Seltsam, oder? Das ist 2012 der Niedermoor-Boden.“ „Und wer ist Vogel des Jahres?“ fragte Ferdinand. „Das ist die Dohle. Die Dohle gerät nämlich immer mehr in Wohnungsnot, weil in den Städten ihre Brutnischen in Schornsteinen und Kirchtürmen verschlossen werden. Daran kannst du sehen, dass es besser ist, nicht auf solchen Listen zu landen.“
„Und weißt du auch, warum das Kleine Nachtpfauenauge den Titel bekommen hat?“ fragte Nils besorgt. Lasse antwortete: „Ja, ich habe gehört, dass das Kleine Nachtpfauenauge in vielen Regionen Deutschlands stark auf dem Rückgang ist. Weil immer mehr Landschaft verbraucht wird und die Landwirtschaft immer mehr industrialisiert wird, heißt es.“ Nils sah nun mit einem Mal sehr traurig aus. „Tröste dich, Nils“, versuchte Henriette ihn aufzumuntern: „Bei uns ist Platz genug für dich und noch ganz viele andere Nachtpfauenaugen!“

„Wisst ihr was noch ganz interessant ist an diesen Naturobjekten des Jahres?“ sagte Lasse schnell, um Nils abzulenken: „Es gibt auch Streuobst des Jahres, aber gleich zig Stück. In Rheinland-Pflanz und dem Saarland ist es die Hauszwetsche, in Baden-Württemberg der Rosenapfel vom Schönbuch, in Hessen der Spitzrabau und immer so weiter. Ist das nicht irre?“ „Was ist denn Streuobst? Hat das was mit Schokostreuseln zu tun?“ fragte Henriette scherzhaft. „Oder mit Katzenstreu?“ feixte Ferdinand. „Streuobstwiesen sind eine feine Sache“, schaltete sich Igor ein: „Das sind Obstwiesen, auf denen die Obstbäume locker verstreut stehen. Ich glaub, deshalb heißen die so. Gar nicht weit weg von hier gibt es sogar eine. Auf der kann man im Herbst immer haufenweise leckere Sachen zu essen finden.“ „Er mal wieder! Denkt nur ans Essen!“ grinste Henriette und piekste Igor ein bisschen in den Bauch: „Los, lasst uns da mal hingehen! Vielleicht blühen die Apfelbäume schon. Das sieht immer so hübsch aus.“ Sogleich setzen sich die Freunde in Bewegung in Richtung Streuobstwiese.


Während sie das kurze Stück Weg zurücklegten, sagte Lasse: „Das Besondere an Streuobstwiesen ist, dass man dort nicht nur Obst anbaut. Weil die Bäume so weit auseinander gepflanzt sind, können die Menschen das Gras darunter auch noch nutzen, entweder als Viehweide oder zum Heu machen. Oft gibt es ganz bunt gemischte Obstsorten auf einer Streuobstwiese. Birnen, Äpfel, Zwetschen, Kirschen, viele verschiedene. Und manche Sorten davon sind schon sehr alt oder auch sehr selten.“ „Streuobstwiesen sind ja sowieso sehr artenreich. Nicht nur, was die Obstsorten angeht“, bemerkte Frieda dazu: „Weil das Gras unter den Bäumen nur sehr wenig genutzt wird und nicht jedes bisschen Grün, das hochkommt, sofort einen Kopf kürzer gemäht wird, blühen auf solchen Wiesen viele bunte Blumen und Kräuter. Viele Insekten schwirren herum und bestäuben die Blüten. Im Herbst krabbeln und knabbern sie am Fallobst. Überall wimmelt es. Und das lockt wiederum die ganze Vogelwelt an.“

Mit Friedas letzten Worten waren sie auch schon auf der Streuobstwiese angekommen, von der Igor gesprochen hatte. Da es noch etwas früh im Jahr war, blühten die Obstbäume zwar noch nicht. Schön fanden sie es trotzdem. Es gab warmes Sonnenlicht und unter den Bäumen kühleren Schatten. Hier war es etwas trockener und dort etwas feuchter. So konnte jeder von ihnen einen Platz für sich finden, wo er sich am wohlsten fühlte. „Guckt mal!“ sagte Ferdinand, der sich in den Ästen eines uralten Birnbaums niedergelassen hatte: „Hier ist eine Höhle in dem alten Baum. Das wäre doch ein super Brutplatz für einen meiner Vogelkollegen, den Wiedehopf oder den Wendehals.“ „Ja, für Vögel, die Insekten fressen oder die Höhlen und Totholz brauchen, ist das hier wirklich ein Paradies“, sagte Lasse, der schon relaxt im Gras lag und an einem Grashalm kaute: „Aber wie ist denn das jetzt eigentlich? Vertragt ihr zwei euch wieder?“ „Ja, Nils und Ferdinand!“ sagte Frieda: „Wo es doch so idyllisch hier ist, sollt ihr euch nicht mehr streiten. Okay?“ „Okay“, sagten Ferdinand und Nils wie aus einem Munde gesprochen. Nils setzte sich neben seinen Freund Ferdinand auf den Birnbaum. „Du, Nils, weißt du eigentlich, wie man Birnbäume und Apfelbäume an den Blüten unterscheiden kann?“ fragte Ferdinand ihn leise. „Nee, erzähl!“ flüsterte Nils. Und dann erklärte Ferdinand seinem Freund Nils, dass man es an den Staubbeuteln sehen kann. Äpfel haben nämlich helle Staubbeutel und Birnen rote.


Ina Wosnitza
Naturschutz & Naturparke, Heft 222
Mitgliederzeitschrift des Vereins Naturschutzpark e.V. (VNP)
>www.verein-naturschutzpark.de



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