Seit Tagen schon lagen die fünf Freunde Henriette Hase, Frieda Fuchs, Ferdinand Fischadler, Lasse Laubfrosch und Igor Igel träge in der Gegend herum und taten rein gar nichts. Es war einfach zu heiß. Igor hatte nicht mal Appetit, so heiß war’s. Henriette fächelte sich ständig mit ihren langen Hasenohren frische Luft zu. Und Frieda schimpfte immer wieder über ihren buschigen Schwanz, auf den sie sonst ziemlich stolz war, der ihr aber nun zu warm war. Ferdinand flog ab und zu zur Abkühlung eine schnelle Runde um die große Eiche, unter der sich die Freunde in den Schatten verkrochen hatten. Lasse fand zwar auch, dass es sich hier unter der Baumkrone einigermaßen aushalten ließ, aber langweilig war es natürlich auch. Er grübelte schon eine ganze Weile für sich herum, was man denn anstellen könnte, während er lässig mit einem Fuß wippte und einen Grashalm im Mund hin und her schob.
„Man muss das Wetter eben nehmen, wie es kommt“, sagte er schließlich laut. Davon schreckte der dösende Igor auf: „Hä?“ Er blinzelte einmal in die Runde und döste gleich wieder ein, als er nichts Beson¬deres entdecken konnte. „Ach, das ist ja mal ganz was neues“, motzte die von der Hitze gereizte Frieda, die schon wieder versuchte, ihre zu warme Lunte möglichst weit von sich wegzulegen. „Mistteil, bleib weg von mir!“ schimpfte sie mit ihrem eigenen Schwanz, der immer wieder unwillkürlich hin und her zuckte und nicht dort liegen bleiben wollte, wo Frieda ihn haben wollte. „So meine ich das doch gar nicht“, antwortete Lasse. „Ich meine nur, man muss eben das Beste aus der Hitze machen. Vielleicht können wir irgendwas machen, was man nur machen kann, wenn es so heiß ist. Sozusagen die Chance nutzen. Verstehst du?“ „Nee, kapier‘ ich nicht“, meinte Frieda immer noch etwas bockig. „Was soll das denn sein?“
Da meldete sich plötzlich Igor zu Wort, was alle ein wenig erschrak, denn sie hatten geglaubt, dass Igor schlafen und nichts von dem Gespräch mitbekommen würde. Igor sprach auch mit geschlossenen Augen: „Man müsste eine Wüstenexpedition machen.“
Verblüfft schauten sich die anderen vier an. „Wüstenexpedition?!“ kam es wie aus einem Mund. Lasse, der sich von allen schon am längsten gelangweilt hatte, war sofort dafür: „Super, Igor!“ Er sprang auf und tippte dem Igel an den Kopf, wovon Igor übrigens zusammenzuckte und endgültig wach wurde: „Mensch, nicht zu fassen, was da für tolle Ideen rauskommen, wenn man denkt, der Kasten ist abgeschaltet!“ Henriette und Ferdinand waren schnell überredet. Ferdinand durfte nämlich den „abenteuerlich-mutigen Luftaufklärer“ spielen, wie er es nannte. Und Henriette die Rolle der feinen Dame mit Sonnenschirm. „Völlig fehl am Platz ,so was!“ sagte zwar Ferdinand, aber Henriette meinte, das wäre eben bei Expeditionen immer so. Die Helden bräuchten ja auch immer jemanden, den sie retten können. Damit war das klar. Igor machte freiwillig den Proviantmeister der Expedition. Lasse wollte den Wissenschaftler mimen. Nur Frieda wollte sich einfach nicht überzeugen lassen, dass sie den kühlen Schatten verlassen sollte. „Nö, ohne mich“, meinte sie kurz angebunden. „Gut, dann musst du eben die zurückgelassene Verletzte spielen, die später gerettet werden muss“, löste Lasse das Problem.
So zogen also die vier ohne Frieda los: „Auf geht’s in die Wüste!“ Nun gab es natürlich keine echte Wüste, wo die fünf Freunde leben. Aber alle hatten trotzdem sofort gewusst, woran Igor gedacht hatte. In der Heide war es nämlich fast wie in der Wüste: im Sommer sehr heiß und trocken, fast sengend heiß sozusagen, Feuergefahr, wenig Wasser, nur die kleinen trockenen Heidepflanzen. Und an manchen Stellen gab es tatsächlich reine Sandbereiche, in denen man hervorragend Sandsturm spielen konnte. Wenn’s trocken war, verwehte der Sand tatsächlich knapp über dem Boden. Diesen Wehsandbereich steuerten die vier also, ohne dass sie extra drüber reden mussten, an. Kaum dass sie ihn erreicht hatten, stürzte der „abenteuerlich-mutige Luftaufklärer“, nämlich Ferdinand, vom Himmel herab und warnte die Expedition vor dem herannahenden Sandsturm.
Alle rannten und versteckten sich gerade noch rechtzeitig in einer alten Wüstenruine, die sie sich natürlich nur vorstellten. Fast wäre die feine Dame, nämlich Henriette, nicht rechtzeitig in Deckung gekommen, weil sie im Sand über ihr langes Kleid gestolpert war, aber Lasse und Igor retteten die feine Dame in letzter Sekunde.
Nach dem Sandsturm konnte die Expedition fortgesetzt werden und kämpfte sich immer weiter in die Wüste vor. Zwischen Heidekraut und ein paar dürren Kiefern legten sie schließlich eine kurze Pause ein, damit der Proviantmeister Igor die Verpflegung endlich loswerden konnte, die er die ganze Zeit mitgeschleppt hatte, wozu er jetzt so langsam keine Lust mehr hatte. Als die Freunde den Proviantberg sahen, den Igor nun auspackte, staunten sie auch nicht schlecht: „Das schleppst du alles mit! Hätt‘ ich nicht gedacht.“ „So lang hätt‘ ich das nicht mitgemacht. Respekt, Alter!“ „Igor, du bist der beste Proviantmeister überhaupt!“ Dass Igor unterwegs schon ab und zu genascht hatte, mussten die Freunde ja nicht erfahren.
Als der Proviantberg erheblich kleiner geworden war, schulterten die Freunde die Reste und wollten sich gerade wieder auf den Weg machen, da kreischte die feine Dame auf: „Hilfe, eine Riesen-Schlange! Sie will mich fressen!“ Henriette war etwas beleidigt, dass niemand reagierte. Alle standen fasziniert um die „Riesen-Schlange“, die ganze 5 cm lang war und auf einer kleinen, dürren Kiefer saß. „Was ist das denn?“ fragte Lasse. „Keine Ahnung“, meinte Igor. „Aber ich glaub nicht, dass man es essen kann.“ „Ja“, bestätigte Ferdinand. „Sieht giftig aus. Grün mit rosa Punkten und schwarzen Borsten.“ Alle zuckten zurück, als sich das grüne Ding plötzlich bewegte und sie mit großen Kugelaugen anblinzelte. „Hunger!“ sagte das grüne Ding mit einer mitleiderregenden Bettelstimme. „Es hat Hunger“, bemerkte Igor überflüssigerweise. Ferdinand hatte sich bisher ganz ruhig das seltsame, dickliche, bunte Tier angeguckt und meinte jetzt: „Das ist eine Raupe.“ Als die anderen ihn nur verdutzt anguckten und anscheinend nichts begriffen, ergänzte er: „Da wird mal ein Falter draus.“ „Zugegeben, für eine Schlange wäre es zu klein, aber ist es für eine Raupe nicht doch etwas zu groß?“ fragte Lasse, der 5 cm lange, dicke Raupen noch nie gesehen hatte. „Hilfe!“ schrie Henriette, die sich wieder in ihre Rolle als feine Dame eingefunden hatte, den anderen nun direkt in die Ohren. „Eine Riesen-Raupe will mich fressen!“ „Jetzt halt doch mal die Klappe“, nörgelte der ziemlich erschrockene Ferdinand. „Hunger!“ hörte man es noch einmal von der Raupe. „Na, Wurmi, hast du Hunger? Was frisst du denn Feines?“ flötete Igor und wackelte dabei so komisch mit den Fingern vor dem Tier herum, wie alte Tanten das immer machen, bevor sie einem einen dicken, feuchten Kuss aufdrücken. „Versuch’s mal mit Heide¬kraut“, schlug Ferdinand vor. „Was anderes gibt es hier in der Heide ja kaum.“ Igor rupfte also ein bisschen Besenheide ab und hielt es der Raupe entgegen. Die schnappte gleich zu und mümmelte vergnügt los. „Klappt!“ rief Henriette, drehte sich um und lief los. „Ich hol Frieda. Die muss das unbedingt auch sehen.“ „Ob das ein Junge ist oder ein Mädchen?“ fragte Lasse. „Keine Ahnung, da müssen wir wohl warten, bis es größer ist“ antwortete Ferdinand. „Beim fertig entwickelten Falter kann man es später bestimmt besser erkennen.“ „Ich hoffe, es ist ein Junge. Noch ein kreischendes Mädchen wie Henriette halt‘ ich nicht aus“, sagte Lasse. Jetzt, wo beide Mädels nicht dabei waren, konnten die drei Jungs das ja mal sagen und alle nickten nur zustimmend.
Igor hielt dem kleinen Tierchen derweil geduldig Besenheidezweige hin und wartete, bis die dicke Raupe fertig gegessen hatte. Er wusste noch nicht, dass man darauf, dass Raupen endlich satt sind, sehr sehr lange warten kann. Dass jemand länger essen kann als er selbst, hatte er noch nicht erlebt. Aber mit Igor hatte die Raupe den geduldigsten der fünf Freunde gefunden, der sie den ganzen Sommer über füttern würde. Da kamen auch schon Frieda und Henriette angerannt. „Zeig her. Wo ist sie?“ rief Frieda im Näherkommen. „Oh, ist die aber schick!“ Ganz fasziniert schaute sie die Raupe an. „Die ist aber schon ganz schön groß. Verpuppt sich bestimmt bald“, meinte Frieda. „Woher weißt du das denn?“ fragte Ferdinand, der es nicht gewohnt war, dass jemand etwas wusste, was er noch nicht wusste.
„Weil sie schon grün mit rosa Knubbeln ist“, antwortete Frieda. „Das ist nämlich ein Kleines Nachtpfauenauge. Zuerst sind die Raupen ganz schwarz mit vielen Borsten. Und es sieht echt toll aus, wenn’s fertig ist.“ „Sieht auch so schon toll aus“, widersprach Henriette, gesellte sich zu Igor und half ihm beim Bemuttern. „Das muss ich sehen!“ sagte Ferdinand, der ja immer alles ganz genau wissen wollte. So war schnell beschlossen, dass die fünf Freunde das kleine „Wurmi“ adoptieren würden. „Zusammen schaffen wir das schon“, meinte Lasse zuversichtlich. „Ich bin echt gespannt, was draus wird“, sagte Ferdinand, der die Raupe unentwegt anstarrte, als hätte er Angst etwas Wichtiges zu verpassen. Der Name Wurmi stand schnell fest, weil man ja noch nicht sagen konnte, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird. Mit Wurmi war es den ganzen Sommer über nie mehr langweilig.
Ina Wosnitza
Naturschutz & Naturparke, Heft 217
Die Mitgliederzeitschrift des Vereins Naturschutzpark e.V. (VNP)
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